Welches sind die aktuell besten Graphic Novels und Comics? Eine Liste für visuell Anspruchsvolle.

Das Genre Graphic Novel boomt und längst erscheinen so viele Publikationen, dass es manchmal gar nicht leicht ist, die Spreu vom Weizen zu trennen. Wir stellen hier natürlich nur echte Perlen vor! Unsere regelmäßig aktualisierte Liste der besten Graphic Novels hat dabei aber nicht den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit und kann gerne in den Kommentaren ergänzt werden.
Maki Shimizu: Über Leben
Eine Japanerin schreibt die vielleicht besten Berlin-Comics … Hier webt sie über 400 Seiten um Maki-Maus und Kater Adagio eine dichte Story über Höhen und (vor allem) Tiefen des urbanen Lebens – und zugleich einen Comic-Krimi.
Maki Shimizu: Über Leben. Berlin (Jaja Verlag) 2021, 400 Seiten. 27 Euro. 978-3-948904-01-2
Brian Blomerth: Mycellium Wassonii
Nach seinem genialen Comic »Bicycle Day« über LSD-Entdecker Albert Hofmann wendet Brian Blomerth sich ebenso streng historisch R. Gordon and Valentina Wasson zu: Das Paar trat in den 1950er Jahren den Hype um halluzinogene Pilze los. Die Zeichnungen wirken ein wenig, als hätten Disney-Figuren Magic Mushrooms gefuttert …
Brian Blomerth: Mycellium Wassonii. Brooklyn (Anthology Editions) 2021, 228 Seiten. 28 Euro. 978-1-944860-41-7
Mia Oberländer: Anna
Frauen dürfen nicht zu groß sein … heisst es oft immer noch. Mia Oberländer erzählt von drei Frauengenerationen, die sich nicht daran hielten – und setzte das Thema Körpergröße auch gestalterisch mit Witz um.
Mia Oberländer: Anna. Zürich (Edition Moderne) 2021, 220 Seiten. 25 Euro. 978-3-03731-222-3
Anna Haifisch: The Artist. Ode an die Feder
The Artist ist jetzt reich und berühmt, doch auch im dritten Band seiner Geschichte bleibt er (psycho-)krisengebeutelt … Die Leipziger Zeichnerin arbeitet diesmal kaum mit Comic-Panels, sondern mit großartigen Tableaus. Die Texte im Stil eines Opern-Librettos schrieb sie auf Englisch, für die Übersetzung sorgte Schriftsteller und Lyriker Marcel Beyer.
Anna Haifisch: The Artist. Ode an die Feder. Berlin (Reprodukt) 2021, 128 Seiten. 24 Euro. 978-3-95640-220-3
Véronique Bergen, Winshluss: Anarchismus
Nein, Anarchismus ist nicht bloß Chaotentum, sondern eine hochinteressante politische Theorie mit bewegter Geschichte. Die Details erklärt dieser neue Band der »Comic-Bibliothek des Wissens« – verpackt in eine witzige und vom belgischen Zeichner Winshluss anarchisch illustrierte Geschichte …
Véronique Bergen, Winshluss: Anarchismus. Berlin (Jacoby & Stuart) 2021, 80 Seiten. 12 Euro. 978-3-96428-118-0
Thomas Bernhard, Lukas Kummer: Der Keller. Eine Entziehung
Lukas Kummer setzte schon 2018 und 2019 Episoden aus den autobiografischen Schriften des berühmt-berüchtigsten österreichischen Schriftstellers als Graphic Novel um – und die Kritik feierte »Die Ursache« und »Der Keller« geradezu hymnisch. Ebenso gelungen ist dieser Band über den wohl wichtigsten Wendepunkt in Thomas Bernhards Leben: Todkrank im Krankenhaus entschied er damals, Schriftsteller zu werden.
Thomas Bernhard, Lukas Kummer: Der Atem. Eine Entscheidung. Salzburg (Residenz Verlag) 2020, 112 Seiten. 22 Euro. 9783701717460
Adrian Tomine: The Loneliness of the Long-Distance Cartoonist
Sein Comic-Erzählband »Killing and Dying« (auf Deutsch »Eindringlinge«) machten den US-Zeichner auch in Literatenkreisen berühmt, seine präzisen Alltagsillustrationen sind häufig auf Covern von »The New Yorker« zu sehen. Jetzt zeichnete/schrieb er eine autobiografische Graphic Novel, gespickt mit herber Selbstironie.
Adrian Tomine: The Loneliness of the Long-Distance Cartoonist. Montreal (Drawn & Quarterly) 2020, 168 Seiten. 9781770463950
Viken Berberian und Yann Kebbi: Marode Substanz, Genosse!
Mister Beton und ein Möchtegern-Stararchitekt wollen das historische Zentrum der armenischen Hauptstadt Jerewan modernisieren und ohne Rücksicht auf Verluste das kulturelle Erbe plattmachen. Doch es gibt Widerstand. Der französische Illustrator Yann Kebbi setzt die Satire von Viken Berberian in hinreissenden Bildern um.
Viken Berberian (Text) und Yann Kebbi (Bild): Marode Substanz, Genosse!. Zürich (edition moderne) 2020, 336 Seiten. 39 Euro. 978-3-03731-208-7
Ludovic Debeurme: Ein tugendhafter Vater
In wunderschön zarten Farbstiftzeichnungen erzählt der Franzose die surreale Horrorgeschichte eines grausamen Vaters. Nichts für schwache Nerven.
Ludovic Debeurme: Ein tugendhafter Vater. Zürich (edition moderne) 2020, 160 Seiten. 29,80 Euro. 978-3-03731-205-6
Michael Büsselberg: Sie wollen uns erzählen. Zehn Tocotronic Songcomics
Ein Muss für Fans: Zehn bekannte Artists haben je einen Song von zehn Tocotronic-Alben seit 1995 in Bildergeschichten übersetzt, darunter Anna Haifisch, Sascha Hommer oder Moni Port, von der das Bild unten zum Song »Die Erwachsenen« stammt.
Michael Büsselberg (Hg.): Sie wollen uns erzählen. Zehn Tocotronic Songcomics. Mainz (Ventil Verlag) 2020, 144 Seiten. 25 Euro. 978-3-95575-132-6
Mikael Ross: Goldjunge. Beethovens Jugendjahre
Leider geraten die endlosen Comics über Berühmtheiten der Kunst- und Weltgeschichte oft zu ziemlich peinlichen Veranstaltungen. Der Berliner Illustrator Mikael Ross, der schon mit seiner Graphic Novel »Der Umfall« (siehe weiter unten) für Furore sorgte, wagt sich unbeschwert von allzu großer historischer Präzision und mit viel Humor an die nicht immer einfachen Kindertage des großen Komponisten – und siehe da, es funktioniert.
Mikael Ross: Goldjunge. Beethovens Jugendjahre, Berlin (avant) 2020, 160 Seiten. 25 Euro. 978-3-96445-041-8
Lisa Frühbeis: Busengewunder. Meine feministischen Kolumnen
Wer die Comic-Kolumne aus dem »Tagesspiegel« nicht kennt, kann die humorvollen Erläuterungen von Lisa Frühbeis zu Tabus rund um den weiblichen Körper auch gesammelt als Buch kaufen. Als bester deutscher Comicstrip mit dem Max-und-Moritz-Preis 2020 ausgezeichnet.
Lisa Frühbeis: Busengewunder. Meine feministischen Kolumnen. Hamburg (Carlsen) 2020, 128 Seiten. 15 Euro. 978-3-551-79356-0
Ulli Oesterle: Vatermilch Buch 1. Die Irrfahrten des Rufus Himmelstoss
Irre Geschichte aus den 1970er Jahren – der Absturz des Rufus Himmelstoß aus Münchner Koks-Schickeria in die Obdachlosigkeit. Inklusive einer Wiederbegegung mit dem Sohn viele Jahre später. Der Comic-Zeichner vearbeitet eigene Erlebnisse.
Ulli Oesterle: Vatermilch Buch 1. Die Irrfahrten des Rufus Himmelstoss. Hamburg (Carlsen Verlag) 2020, 128 Seiten. 20 Euro. 978-3-551-71158-8
Nick Drnaso: Sabrina
In eleganten Ligne-Claire-Zeichnungen berichtet Zeichner Nick Drnaso vom Verschwinden einer jungen Frau und der sich danach in sozialen Medien entfaltenden Hölle der Verschwörungstheorien. Das englischsprachige Original wurde als erster Comic für den Man Booker Prize nomininiert, einem der wichtigsten Literaturpreise der Welt. Ein eindrücklicher Thriller über das postfaktische Zeitalter und seine emotionalen Verwerfungen, jetzt in deutscher Übersetzung.
Nick Drnaso: Sabrina. Berlin (Blumenbar) 2019, 208 Seiten. 26 Euro. 978-3-351-05071-9
Julia Bernhard: Wie gut, dass wir darüber geredet haben
Die junge Frankfurter Illustratorin, deren Arbeiten auch schon im New Yorker zu sehen waren, hat ein furioses Comic-Debüt hingelegt. Gnadenlos spießt sie auf, was für egomanischen Mist unsere Zeitgenossen (und wir selbst!) heutzutage so reden. Die skurrilen Szenen zwischen Beziehungspartnern, die keine sein wollen, zwischen zynischen Kunsthochschülern oder Enkelin und rabiater Oma hält sie in cleanem, sachlichen Stil fest. Unterhaltsam, aber auch gruselig.
Julia Bernhard: Wie gut, dass wir darüber geredet haben. Berlin (avant-verlag) 2019, 96 Seiten. 20 Euro. 978-3-96445-014-2
Anna Haifisch: Schappi
Die Comics von Anna Haifisch waren bisher immer ein Musss, insbesondere natürlich ihre wunderbare Künstlersatire »The Artist«. In »Schappi« präsentiert sie skurrile Kurzgeschichten um Mensch und Tier, gelegentlich treten beide in einer Person auf. Für Ironie, Scherz und Satire ist auch hier gesorgt.
Anna Haifisch: Schappi. Kassel (Rotopol) 2019, 92 Seiten. 20 Euro. 978-3-96451-008-2
Sascha Hommer: Spinnenwald
Sascha Hommer, bekannt als Organisator des Hamburger Comicfestivals, legt selbst mal wieder ein Buch vor – eine spannende Geschichte um den mysteriösen Spinnenwald, Felsenbewohner, Augen-Wesen und die sogenannten Waltrauden, die in einer Art Initiationsritus gejagt werden müssen …
Sascha Hommer: Spinnenwald. Berlin (Reprodukt) 2019, 152 Seiten. 18 Euro. 978-3-95640-200-5
Agustín Ferrer Casas: MIES – Mies van der Rohe. Ein visionärer Architekt
Die bewegte Lebensgeschichte eines der wichtigsten Pioniere der modernen Architektur als Graphic Novel? Ein mutiges Unterfangen des Spaniers Agustín Ferrer, früher Architekt und seit 2011 Comiczeichner. Im spanischen Barcelona steht übrigens eines der berühmtesten Bauwerke van der Rohes, der deutsche Pavillon für die Weltausstellung 1929, der auch auf dem Bild unten zu sehen ist. Lektüre für Jugendliche ab 12 Jahren und Erwachsene, denen der Wikipedia-Artikel optisch zu langweilig ist.
Agustín Ferrer Casas: MIES – Mies van der Rohe. Ein visionärer Architekt. Hamburg (Carlsen) 2019, 176 Seiten. 20 Euro. 978-3-551-02294-3
Paula Bulling, Anne König: Bruchlinien. Drei Episoden zum NSU
Über Beate Zschäpe sind wir bis in die Details ihrer Garderobe und des Seelenlebens ihrer Katzen informiert. Dabei gibt es viele andere wichtige Fragen. Die Leipziger Autorin und Verlegerin Anne König und die in Berlin lebende Zeichnerin Paula Bulling haben sich mit drei anderen Frauen befasst, die in den NSU-Fall verstrickt waren: Zschäpes beste Freundin, die Tochter eines Opfers sowie eine Sachbearbeiterin beim Verfassungsschutz, die auf Anweisung von Vorgesetzten Akten vernichten musste – sieben Tage nach dem Auffliegen des NSU.
Paula Bulling, Anne König: Bruchlinien. Drei Episoden zum NSU. Leipzig (Spector Books) 2019, 120 Seiten. 24 Euro. 978-3-95905-298-6
Bendik Kaltenborn: Erste Sahne
Unterhaltsame Sammlung von Alltagsbeobachtungen – ob wortlos, als Cartoon oder als Comic, abwechslungsreich gezeichnet in verschiedenen Stilen.
Bendik Kaltenborn: Erste Sahne. Berlin (avant-verlag) 2019, 176 Seiten. 25 Euro. 978-3-945034-11-8
Nora Krug: Heimat. Ein deutsches Familienalbum
Gerade aus der Distanz sieht man die Heimat in anderem Licht. Illustratorin Nora Krug, die seit 17 Jahren in New York lebt und arbeitet, schaut zurück auf Deutschland und die schwierige deutsche Geschichte. Ihre sensationelle »Graphic Memoir« kommt als Collage gezeichneter Elemente und unterschiedlichster Dokumente und Fundstücke daher.
Nora Krug: Heimat. Ein deutsches Familienalbum. München (Penguin) 2018, 28 Euro. 288 Seiten. 978-3-328-60005-3
Mikael Ross: Der Umfall
Aus einem unglaublichen Projekt ist dieses Buch entstanden. Zwei Jahre recherchierte der Berliner Zeichner auf Einladung der Evangelischen Stiftung in Neuerkerode – einem niedersächsischen Örtchen, in dem über 800 Menschen mit geistigen Einschränkungen leben. Das Ergebnis ist eine genial gezeichnete Geschichte voller Emotion, Witz und Poesie.
Mikael Ross: Der Umfall. Berlin (avant-verlag) 2018, 128 Seiten. 28 Euro. 978-3-945034-94-1
Jason Lutes: Berlin 3. Flirrende Stadt
Auch der letzte Teil der Berlin-Trilogie des amerikanischen Zeichners ist inhaltlich und visuell grandios. Es geht um die Zeit zwischen 1928 und 1933 – und es geht deutlich realistischer zu als im manchmal doch allzusehr aufgehübschten TV-Bombast von »Babylon Berlin«. Auch eine Gesamtausgabe liegt inzwischen vor.
Jason Lutes: Berlin 3. Flirrende Stadt. Hamburg (Carlsen) 2018, 186 Seiten. 14,40 Euro. 978-3-551-76677-9
Jesse Jacobs: Crawl Space
Ausgerechnet durch eine alte Waschmaschine gelingt es den Freundinnen Daisy und Jeanne-Claude, in eine verborgene psychedelische Welt vorzustoßen. Was dann geschieht, erzählt der kanadische Illustrator und Comic-Artist Jesse Jacobs in genial gezeichneten knallbunten und schwarzweißen Bildern. Unterhaltsam zu lesen und durchaus mit philosophischem Tiefgang.
Jesse Jacobs: Crawl Space. Kassel (Rotopol) 2018, 100 Seiten. 19 Euro. 978-3-96451-002-0
Emil Ferris: Am liebsten mag ich Monster
Mitten in den sechziger Jahren führt die zehnjährige Karen ein Tagebuch, in dem sie ihren Alltag und ihre Vorliebe für Grusel-Groschenhefte und Horror-B-Movies verarbeitet. Zeichnerin Emil Ferris gilt seither als Meisterin der Schraffuren und erntete drei Eisner Awards, die als Oscars der Comicwelt gelten. Jetzt erschien der opulente Band auch auf Deutsch.
Emil Ferris: Am liebsten mag ich Monster. Stuttgart (Panini) 2018, 420 Seiten. 39 Euro. 978-3741608087
Julia Zejn: Drei Wege
Noch ein spannender, sehr persönlicher Blick in die Geschichte, diesmal anhand des Lebens von drei jungen Frauen in den Jahren 1918, 1968 und 2018.
Julia Zejn: Drei Wege. Berlin (avant-verlag) 2019, 184 Seiten. 25 Euro. 978-3-945034-99-6
Die besten Comics und Graphic Novels von 2017
Die besten Comics und Graphic Novels von 2016
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